Slawenmission: Sieg der geistlichen Waffen

Slawenmission: Sieg der geistlichen Waffen
Slawenmission: Sieg der geistlichen Waffen
 
Die Heidenmission in Ost- und Südosteuropa war mehr als nur ein innerkirchlicher Vorgang. In der frühmittelalterlichen Gesellschaft bestand zwischen der Bekehrungsarbeit christlicher Missionare und der politischen Herrschaftsbildung ein enger kausaler Zusammenhang. Der kirchliche Segen verlieh der Fürstenmacht als gottgegebener Autorität eine nahezu unangreifbare Vorrangstellung im Inneren und gewährte in den äußeren Beziehungen einen relativen Schutz vor den Angriffen christlicher Nachbarn. Die Kirche ihrerseits verdankte dem herrscherlichen Wohlwollen den notwendigen Freiraum und ausreichende finanzielle Zuwendungen für ihren Unterhalt und ihre karitativen Aufgaben.
 
 Kirche und Politik
 
Die äußeren Begleitumstände des Christianisierungsprozesses unterstreichen die politische Bedeutung, die auch die heidnischen Fürsten ihrem Übertritt zum neuen Glauben beimaßen. Die Taufe wurde in der Regel als förmlicher Staatsakt inszeniert. Die Entscheidung war wohl in den seltensten Fällen allein durch die persönliche Überzeugung desjenigen motiviert, der zum Christentum übertrat; ausschlaggebend waren eher politische Überlegungen und die Erkenntnis, dass in einer christlichen Umwelt einem Heiden die völkerrechtliche Anerkennung versagt blieb. Erst die Taufe versprach Gleichberechtigung. Nicht selten war die Fürstentaufe wie in Polen, Ungarn oder im Kiewer Reich Ergebnis oder Vorbedingung einer dynastischen Heiratsverbindung. Nicht zu unterschätzen als weiterer Anstoß ist auch der kulturelle Aspekt. Der Übertritt zum Christentum versprach den heidnischen Stämmen eine rasche Heranführung an die Schriftkultur des Mittelmeerraums und die Teilhabe am zivilisatorischen Fortschritt.
 
 Die Voraussetzungen der Slawenmission
 
Die Slawenmission ist Teil eines universalgeschichtlich bedeutsamen demographischen und politischen Umstrukturierungsprozesses, der sich während der Völkerwanderungszeit im Vorfeld der Grenzen des Römischen Reiches abspielte. Auf ihren Wanderungsbewegungen kamen die Slawen zwar schon sehr früh mit dem Christentum in Berührung, doch von vereinzelten Übertritten slawischer Heerführer und Krieger abgesehen, waren die Auswirkungen zunächst destruktiv. Der Durchzug slawischer Siedlergruppen zerstörte im Donauraum die provinzialrömische städtische Infrastruktur und brachte das kirchliche Leben weitgehend zum Erliegen. In den inselhaft eingestreuten slawischen Siedlungsgebieten im Inneren der Balkanhalbinsel hielten im 6./7. Jahrhundert wieder heidnische Kultbräuche Einzug. Die byzantinische Reichskirche war an einer raschen Bekehrung der Heiden interessiert. Sie beteiligte sich daher bereitwillig an den kaiserlichen Befriedungsbemühun- gen, die auf eine gewaltsame Wiederherstellung der griechischen Ursprünge abzielten. In der Nordhälfte der Balkanhalbinsel boten allerdingsdie erfolgreichen Herrschaftsgründungen unter den Serben und Bulgaren der byzantinischen »Reconquista« schon frühzeitig Einhalt.
 
 Die Anfänge der lateinischen Slawenmission
 
Im Einzugsbereich der lateinischen Kirche in Mitteleuropa gerieten neben den Germanen wohl auch schon die Slawen in den Blick iroschottischer Wandermönche, die sich im 6. Jahrhundert in das ostrheinische Heidenland vorwagten. Die Missionstätigkeit in den slawischen Siedlungen im ostbairischen Bereich entwickelte sich unmittelbar aus der irofränkischen Germanenmission. Schon der Aquitanier Amandus war um 630 über Baiern bis ins Slawenland vorgedrungen. Der eigentliche Durchbruch der Baiernmission ist mit dem Namen des Agilolfingerherzogs Theodo V. (um 680—um 717) und dem Wirken der Missionsbischöfe Korbinian in Freising, Erhard und Emmeram in Regensburg und Rupert in Salzburg verbunden. Sie sorgten für eine flächendeckende kirchliche und klösterliche Organisationsstruktur im bairischen Raum. Der Angelsachse Bonifatius brachte sie 739 im päpstlichen Auftrag zum Abschluss. Er schuf damit auch die Voraussetzungen für ein grenzüberschreitendes missionarisches Wirken unter den Slawen.
 
 Die bayerische Slawenmission
 
Die bayerische Slawenmission war von Anfang an eng mit der herrschaftlichen Durchdringung der grenznahen Regionen verbunden. Nach der »Conversio Bagoariorum et Carantanorum«, einer um 870 entstandenen Salzburger Quelle, hatte der Karantanerherzog Borut selbst im Jahre 743 vom Bayernherzog Odilo die Taufe seines Sohnes Gorazd und seines Neffen erbeten. Die Unterwerfung des Landes durch Bayernherzog Tassilo III. 772 änderte die Rahmenbedingungen der kirchlichen Arbeit. Als Missionar der Slowenen gilt der Salzburger Bischof Virgil (✝ 784), der noch ganz in der Tradition des von dem Iren Columban gegründeten Mönchtums stand.
 
788 musste sich Tassilo III. seinem Vetter Karl dem Großen unterwerfen. Sein Herzogtum wurde zusammen mit Karantanien dem Frankenreich eingegliedert. Seither lag die Koordinierung der Grenzmarksicherung und der kirchlichen Missionsbemühungen beim Frankenkönig. Die erfolgreichen Kriegszüge Karls des Großen und seines Sohnes Pippin gegen die Awaren machten den Weg für eine Neuordnung frei. Noch im Heerlager Pippins hatte im Sommer 796 eine Bischofssynode die künftigen Missionsziele abgesteckt und sich auf territoriale Abgrenzungen zwischen den Kirchensprengeln geeinigt. Das Patriarchat Aquileja, das die Bekehrung der Slawen in Istrien und Friaul in Gang gebracht hatte, und Salzburg beanspruchten beide Karantanien. Die endgültige Entscheidung im Bistumsstreit fällte Karl der Große 811. Aquileja erhielt südlich der Drau die jurisdiktionellen Vorrechte. Der nördliche Teil Karantaniens (Steiermark und Kärtnen) und das gesamte Unterpannonien, das Gebiet östlich der Raab zwischen Drau und Donau, wurden Salzburg zugesprochen. Maßgeblichen Anteil an der Missionsarbeit in Karantanien nahmen auch das dem Freisinger Bistum unterstehende Kloster Innichen im Pustertal und die Mönchsgemeinschaft von Kremsmünster. Beide Klöster hatte noch Tassilo III. 769 bzw. 777 eigens für die Slawenmission gegründet.
 
In den nördlichen Slawengebieten hatten die bayerischen Bistümer Regensburg und Passau mit konkurrierenden Unternehmungen aus Sachsen und vorübergehend mit der Mission durch Kyrillos und Methodios auch aus Konstantinopel zu rechnen. Nach Mähren dürften die ersten Glaubensboten vornehmlich von Passau aus entsandt worden sein. Ebenfalls schon in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts wurde im Zuge der fränkischen Ostexpansion von Regensburg aus die Missionierung Böhmens eingeleitet. Die Annalen des Klosters Fulda berichten zum Jahre 845 von 14 böhmischen Stammesführern, die sich dem ostfränkischen König Ludwig dem Deutschen unterwarfen und mit ihrem Gefolge taufen ließen. Erst mit dem Přemyslidenherzog Wenzel I., der den politischen Anschluss an Sachsen suchte und 929 König Heinrich I. tributpflichtig wurde, erfolgte die endgültige Weichenstellung zugunsten der lateinischen Orientierung. Sie ging mit einer Lockerung der Bindungen an die bairische Kirche einher. Als man 973/976 mit päpstlichem Segen in Prag ein eigenes Bistum einrichtete, wurde es dem Erzbistum Mainz unterstellt.
 
 Die Mission der Ostsee- und Elbslawen
 
Die Verchristlichung des Slawenlandes an der Ostgrenze des Frankenreiches war wie die vorausgehende Germanenmission ein mühseliger und langwieriger Prozess. Die Bekehrung der Main- und Regnitzslawen, die im Einzugsbereich der Bistümer Würzburg und Bamberg siedelten, zog sich bis in das 12. Jahrhundert hin. Unter den Elb- und Ostseeslawen regte sich nach den Sachsenkriegen Karls des Großen hartnäckiger Widerstand gegen eine weitere Ausdehnung des Frankenreiches über die Elbe.
 
Als kirchliches Zentrum für die Bekehrung Nordeuropas und der benachbarten Slawen war vom Papst zunächst das Bistum Hamburg (und zeitweise Bremen) ausersehen, doch konnte der heilige Ansgar seine in Skandinavien erreichten Missionserfolge im Slawenland nicht wiederholen. Erst die sächsischen Kaiser ebneten im 10. Jahrhundert mit einer aggressiven Slawenpolitik den christlichen Glaubensboten gewaltsam den Weg. Otto I. gründete 937 das Missionskloster des heiligen Mauritius in Magdeburg. Es wurde zur Keimzelle eines Erzbistums, das 968 mit den ihm unterstellten Bistümern (Suffraganbistümern) Havelberg, Brandenburg, Merseburg, Zeitz-Naumburg und Meißen als Schaltzentrale der Slawenmission eingerichtet wurde. Das Bistum Oldenburg in Holstein (Wagrien) wurde dem Erzbistum Hamburg-Bremen zugeordnet.
 
Der große Slawenaufstand des Jahres 983 zerstörte das kirchliche Aufbauwerk unter den Elbslawen wieder weitgehend. Es dauerte zwei Jahrhunderte, ehe christliche Missionare im Zuge des Landesausbaus unter Adolf II. von Schauenburg, Heinrich dem Löwen und dem Askanier Albrecht dem Bären erneut Fuß fassen konnten. Noch zu diesem Zeitpunkt war mit dem »Wendenkreuzzug« von 1147 ein regelrechter Feldzug unter dänischer Beteiligung notwendig, um den heidnischen Widerstand zu brechen. Das hartnäckig verteidigte slawische Heiligtum Arkona auf Rügen konnte erst 1168 nach mehreren Anläufen erobert und zerstört werden.
 
 Die Missionierung Polens
 
Bis an die Oder und zu den Slawen an der mittleren Warthe und oberen Netze drang die von Sachsen ausgehende Slawenmission nicht mehr vor. Im Stammesgebiet der Polanen trat den sächsischen Grafen mit den Piasten eine selbstbewusste einheimische Herrscherdynastie entgegen. Um sich weiterer Einmischungsversuche besser zu erwehren, suchte Mieszko I. die Anlehnung an den Böhmenherzog Boleslav I., dessen Tochter Dubravka er ehelichte. 966/967 ließ er sich taufen und erreichte 968 die Zustimmung des Papstes, in Posen für die polnische Kirche ein Bistum einzurichten. Im Jahre 1000 machte das denkwürdige Zusammentreffen seines Nachfolgers Boleslaw I. Chrobry mit Kaiser Otto III. während dessen Pilgerfahrt zum Grab des Märtyrerbischofs Adalbert von Prag (✝ 997) den Weg frei für eine eigenständige polnische Kirchenorganisation. Dem neu errichteten Erzbistum Gnesen wurden die Bistümer Kolberg, Krakau und Breslau unterstellt.
 
 Die Slawenlehrer Kyrillos und Methodios
 
Ausgangspunkt und Rückhalt der Missionierungsarbeit der byzantinischen Reichskirche unter den Slawenstämmen auf der Balkanhalbinsel waren die griechischen Küstenstädte, allen voran Thessalonike, die sich im Schutze der Reichsflotte gegen die Slawenflut hatten halten können. In Dalmatien soll nach einer umstrittenen Information im Staatshandbuch des Kaisers Konstantin VII. Porphyrogennetos in den 620er-Jahren Kaiser Herakleios im Einvernehmen mit dem Papst in Rom erste Schritte zur Christianisierung der eingewanderten Kroaten eingeleitet haben. Die heidnischen Serben kamen sowohl mit der lateinischen Mission im adriatischen Küstenbereich wie mit den Predigern der griechischen Kirche in den binnenserbischen Landschaften in Berührung. Eine serbische Gesandtschaft soll von Kaiser Basileios I. (867—886) die Taufe der noch heidnisch gebliebenen Stammesbrüder erbeten haben. Über bulgarischen Einfluss dürfte in der Folgezeit die christliche Lehre tiefere Wurzeln geschlagen haben, doch blieb der Gegensatz zwischen der lateinisch geprägten Küstenzone und dem nach Konstantinopel orientierten Binnenland bis zum Anfang des 13. Jahrhunderts erhalten. Die endgültige Anbindung an das ökumenische Patriarchat in Konstantinopel führte dann erst der heilige Sava Anfang des 13. Jahrhunderts herbei. Die byzantinische Reichskirche profitierte bei ihrer Slawenmission von frühzeitigen Zugeständnissen. Gegen die Vorherrschaft des Lateinischen in der westlichen Missionsarbeit gerichtet, entschied sich der byzantinische Patriarch im innerkirchlichen Sprachenstreit für die volkstümliche Variante und ließ in den äußeren Gebieten nationalkirchliche Organisationsstrukturen zu. Den Anstoß gab das Missionsersuchen des Mährerfürsten Rastislaw vom Jahre 862, der seinen Herrschaftsbereich dem bayerisch-fränkischen Zugriff entziehen wollte. Kaiser Michael III. und Patriarch Photios reagierten mit der Entsendung des griechischen Brüderpaares Kyrillos und Methodios. Beide waren aus ihrer Heimatstadt Thessalonike mit slawischer Mundart vertraut und konnten den Slawenstämmen ein eigenes Schriftsystem, die Kunstschrift der Glagoliza, und »kirchenslawische« Übersetzungen der liturgischen Bücher anbieten.
 
In der Sprachenfrage und im Streit um die Gerichtsbarkeit mit der bairischen Kirche suchten die beiden Slawenlehrer das Einvernehmen mit dem Papst. Hadrian II. nutzte die Gelegenheit ihres Rombesuches, zu dem sie 867 aufgebrochen waren, um Ansprüche auf das östliche Illyrien wieder zu beleben, das Kaiser Leon III. der römischen Kirche 732 eigenmächtig entzogen hatte. Der Papst bestätigte Methodios — Kyrillos war 869 in Rom verstorben — als päpstlichen Legaten für die Slawenmission und als Erzbischof Pannoniens mit Sitz in Sirmium, der alten Hauptstadt der Präfektur Illyrien. Sein Vorgehen stieß bei den betroffenen bairischen Bischöfen auf schroffe Ablehnung. Sie zitierten Methodios 870 vor ein Gericht in Regensburg und ließen ihn in Klosterhaft nehmen. Auch nach seiner Freilassung 873 blieb Methodios in seiner kirchlichen Arbeit stark behindert. Seine Schüler verloren nach seinem Tode 885 den päpstlichen Rückhalt, wurden aus Mähren vertrieben und zogen sich nach Dalmatien und Bulgarien zurück. Ihrem Wirken im Bulgarenreich ist es vor allem zu verdanken, dass in der bulgarischen Kirche die byzantinische Orientierung schließlich die Oberhand behielt gegenüber einer zunächst erfolgreicheren lateinischen Mission.
 
 Die Bulgarenmission
 
Die turksprachigen bulgarischen Eroberer hatten schon in der Frühphase ihrer Reichsgründung im Nordwestbalkan erste Kontakte mit der christlichen Religion in den Küstenstädten des Schwarzen Meeres. Mit der Ausweitung ihrer Herrschaft auf thrakische und makedonische Gebiete nahm die Zahl der christlichen Untertanen zu. In der Oberschicht und selbst in der Familie der Bulgarenkhane wuchs die Bereitschaft, auch in religiösen Belangen die Angleichung an die Kaisermacht in Konstantinopel zu suchen. Die drohende Gefahr einer byzantinischen Dominanz bewog Khan Boris jedoch 852, im Donauraum eine engere politisch-militärische Zusammenarbeit mit König Ludwig dem Deutschen einzugehen und über fränkische Missionare den griechischen Einfluss einzudämmen. Eine rasche Militäraktion des Kaisers 863/864 zwang ihn, die Allianz aufzukündigen und die Taufe durch Abgesandte des Patriarchen Photios zu akzeptieren. Beim Taufakt im Jahre 864 oder 865 nahm Boris nach seinem kaiserlichen Taufpaten den christlichen Namen Michael an. Das Arrangement mit dem Kaiser hinderte ihn nicht, in den Jahren 866 bis 870 erneut die römische und fränkische Karte zu spielen und sich in Rom um eine unabhängige Kirchenorganisation zu bemühen. 869/870 beendete ein Synodalbeschluss in Konstantinopel vorläufig den Jurisdiktionsstreit in der bulgarischen Kirche zugunsten des Patriarchen von Konstantinopel. Umso bereitwilliger nahm Boris 886 die aus Mähren flüchtenden Schüler des Methodios auf und stellte mit dessen Helfern Naum und Kliment der griechischen Mission eine lebendige bulgarische Kirche mit slawischer Liturgiesprache und glagolitischem Alphabet entgegen. Um Ohrid in Westmakedonien entstand nun ein slawisches Bildungs- und Kirchenzentrum. Als Boris 889 auf sein Herrscheramt verzichtete und sich in Preslaw in ein Kloster zurückzog, drohte sein Sohn und Nachfolger Wladimir das Aufbauwerk des Vaters zu gefährden. Er vollzog eine antibyzantinische Kehrtwendung in der Innen- und Außenpolitik und begünstigte eine heidnische Reaktion. 893 kehrte Boris nochmals zurück und ersetzte Wladimir durch seinen jüngeren Sohn Simeon. Eine Reichsversammlung bestätigte die slawische Liturgie und Schrift. Unter Simeon I. verdrängte die slawische Liturgiesprache in der bulgarischen Kirche endgültig das Griechische. Allerdings gab der am byzantinischen Kaiserhof erzogene junge Herrscher dem Kyrillischen, einer Anpassung des griechischen Alphabets an die Erfordernisse des slawischen Lautsystems, vor den schwer erlernbaren glagolitischen Schriftzeichen den Vorzug. Simeon beschäftigte an seinem Hofe zahlreiche Übersetzer, die für die spätere Missionsarbeit unter den Ostslawen wesentliche Vorarbeiten geleistet haben.
 
 Die Taufe Russlands
 
Der Missionserfolg der byzantinischen Reichskirche im Reich von Kiew (Kiewer Rus) war eine unmittelbare Folge reger Handelskontakte auf dem »Weg von den Warägern zu den Griechen«. Erste Missionserfolge unter den damals in Konstantinopel gefürchteten »Russen« vermeldete der Patriarch Photios schon aus den 60er-Jahren des 9. Jahrhunderts. Die christliche Lehre war schon bald unter den warägischen Kriegern und Kaufleuten auf Resonanz gestoßen. Dem Alleingang der Fürstin Olga, die sich Mitte des 10. Jahrhunderts taufen ließ, wollte ihr Sohn Swjatoslaw Igorjewitsch mit Rücksicht auf die heidnische warägische Gefolgschaft zwar noch nicht folgen. Ihr Enkel Wladimir I. Swjatoslawitsch festigte jedoch mit seiner Entscheidung für die Taufe (988) die Kontakte zur Handelsmetropole Konstantinopel und gewann gleichzeitig mit Basileios' II. Schwester Anna die prestigeträchtige Anverwandschaft zum byzantinischen Kaiserhaus. Byzanz wurde seither normgebend im kirchlichen und kulturellen Leben des Kiewer Reiches. Den Aufbau kirchlicher Organisationsstrukturen besorgten vom Patriarchen entsandte griechische Bischöfe (Metropoliten).
 
 Ost-westliche Gegensätze in der Slawenmission
 
In der Missionsarbeit unter den Slawen deutete sich schon früh ein konfessionelles Auseinanderstreben zwischen Rom und Konstantinopel an; eine durchgehende Trennungslinie zwischen einem Christentum abendländisch-lateinischer und griechisch-orthodoxer Prägung hat sich allerdings in dieser Frühzeit trotz unleugbarer Irritationen noch nicht verfestigt. Im Wettstreit um den beherrschenden Einfluss in den slawischen Missionsgebieten spielten handfeste politische und materielle Interessen eine entscheidendere Rolle als theologische Kontroversen oder ein unterschiedliches Orthodoxieverständnis. Zwischen den einzelnen Bistümern der fränkischen Reichskirche, die Missionare in das Slawenland entsandten, und der Kurie in Rom herrschten nicht weniger Empfindlichkeiten als zwischen den konkurrierenden Glaubensboten des griechischen Patriarchen und der Westkirche.
 
Derartige unschöne Begleitumstände werfen Schatten auf die frühmittelalterlichen Christianisierungsvorgänge in Ost- und Südosteuropa. Die Tatsache, dass die Glaubensboten nicht frei waren von allzu menschlichen Regungen und häufig auch Gewaltmittel nicht scheuten, ändert aber nichts an der grundsätzlichen Bewertung: Mit ihrem Missionswerk haben die griechische und die lateinische Kirche im Frühmittelalter gemeinsam die Fundamente für das christliche Europa gelegt und zur dauerhaften Eingliederung der »barbarischen Nordvölker« beigetragen.
 
Prof. Dr. Edgar Hösch
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
Bulgarenreich: Ein erstes slawisches Großreich
 
Grundlegende Informationen finden Sie unter:
 
Byzanz als zweites Rom (565 bis 1453): Kontinuität im Osten
 
 
Brown, Peter: Die Entstehung des christlichen Europa. Aus dem Englischen. München 1996.
 Dittrich, Zdenek R.: Christianity in Great-Moravia. Groningen 1962.
 Goehrke, Carsten: Frühzeit des Ostslaventums. Darmstadt 1992.
 
Heidenmission und Kreuzzugsgedanke in der deutschen Ostpolitik des Mittelalters, herausgegeben von Helmut Beumann. Darmstadt 21973.
 Hensel, Witold: Die Slawen im frühen Mittelalter. Ihre materielle Kultur. Herausgegeben von Siegfried Epperlein. Berlin-Ost 1965.
 Herrmann, Joachim: Frühe Kulturen der Westslawen. Zwischen Hradschin und Vineta. Leipzig 31981.

Universal-Lexikon. 2012.

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